20. April 2017

Michael Morgner – Schweißtücher

Michael Morgner ist Zeit seines Lebens seinem einzigartigen Formenrepertoire treu und in der Region Chemnitz sesshaft geblieben. Dort entwickelte er nach dem Studium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig sein reduziertes, aber symbolisch reiches Figurenarsenal. Er legt grafische Körpergerüste an, verknappt die Liniengeflechte und verdichtet sie zu Piktogrammen. Stehende, Schreitende und Hockende beleben seither die oft abstrakten Bildgründe.

In Grafikfolgen ätzt er die Linien tief in die Platten. Doch die grafische Technik limitiert das Format, während er auf seinen großformatigen Leinwänden auf Expansion und Monumentalität aus ist. Und wie ein Archäologe arbeitet er sich dann in die Tiefenschichten des Materials, spaltet Papierlagen und reißt, fetzt an den Bildhäuten.

Oder er druckt vielsagende Corpora auf fragile Seidenpapiere und macht daraus „Schweißtücher“ elementarer Weltereignisse. Knitterspuren erinnern an Tuchfalten, Farben durchdringen sie wie Christi Blut.

Seine wichtigste Bildformel ist seine „Angstfigur“. Sie ruht in einer Kapsel, als wäre sie gefangen in gewaltigen Festungsmauern, die sie wie ein dicker Panzer ummanteln. Äußeren Kräften schonungslos ausgeliefert, verharrt sie in Resignation und Angststarre. Zum Sinnbild für den gefährdeten und leidenden Menschen nutzt Morgner das Ecce-Homo-Motiv, das tief in der christlichen Mythologie verwurzelt ist. Ihm aber ist es Ausdruck subjektiven Erleidens. Aktiver Gegenspieler ist sein „Schreitender“, der sich, die Arme energisch nach oben gerissen, kühn Lebensraum erobert.

Dr. Linn Kroneck

20. Januar 2017

Ein Lehrer und seine Schüler. Professor Peter Thiele und Tania Engelke, Kurt Neubauer, Mathias Otto

Ein Lehrer, ein Kunstprofessor, kann bei seinen Studenten einen Kunst-Kosmos aufreißen und sie zu Schaffensräuschen mitnehmen, die im Idealfall ein Leben umbrechen. Derart hinterlässt er seinen künstlerischen „Fingerabdruck“ in den Schülerseelen.

Es ist also ein interessantes Vorhaben, einen Meister im Kontext mit seinen Schülern – und umgekehrt – zu betrachten. Inwieweit prägen seine künstlerischen Erfahrungen und seine Handschrift eine nächste Generation, werden ästhetische Potenziale vererbt und beeinflussen sie Künstlerlaufbahnen? Wie gelingt Abnabelung, wie eigenständiges, egozentrisches Ich-Erleben?

Peter Thiele, Kunstprofessor aus Nürnberg, lehrte 35 Jahre Grafik und Zeichnung. Sein Lebenswerk besticht vor allem durch seine Linienkunst. Und wie sicher und souverän ihm die Lineatur aus dem Stift fließt! Wie er damit lustvoll den Vermaskierungen im Menschenpark nachspürt! Ich kann mir vorstellen, wie er bei seinen Studenten besonderen Wert legt auf das Trainieren des manuellen Zeichnens, des Ertastens und Findens gültiger Linienbahnen, der Wertigkeit von Druck und Dichte, von Hell und Dunkel. Wie er dabei aber seine Eleven zu beständiger Suche nach eigener Handschrift und „eigenem Strich“ provoziert, bis sie zu ihrem Thema ihren eigenen gegenständlichen Stil gefunden haben. Und er staunt dann gar oft über deren versiertes Können und bewundert ihre Fähigkeit zu linearen Vereinfachungen, selbst wenn sie sich inzwischen der Malerei verschrieben haben. Aber sogar in deren nächtlichen Stadtansichten steckt noch seine Liebe zur geschlossenen Linie. Solche künstlerische Verbundenheit führt auch zu menschlicher Nähe. Er nennt es „meine Kunst-Familie“.

19. Oktober 2016
Peter Schnürpel: Träger

Peter Schnürpel. Vom Lauf der Dinge

Peter Schnürpels Schaffen ist von beeindruckender Unverwechselbarkeit. Bei aller Mitsprache malerischer Elemente wurde die Linie sein ureigenes Medium. Doch fern von pedantischem Kalkül, widerstrebt seinem Temperament und Eigensinn jeglicher Purismus. Jeder Strich ist nervös und zupackend zugleich, energisch und sensibel, tief emotional und oftmals wie elektrisiert. Seine Bildzeichen verwandeln das Momentane in suggestive Hieroglyphen, ohne die handschriftliche Unmittelbarkeit abzustreifen, die Wehen der eruptiven Bildgeburt. Mit wahrer Inbrunst ist besonders der Radierkunst verdichtend abgerungen, was sie an technischen Finessen erlaubt. Daher steckt in jedem Blatt ein hohes Maß an grafischer Kultur und Meisterschaft.

Seine Kunst siedelt am Kreuzweg einer doppelten Passion. Denn in ihr durchdringen sich Leidenschaft der Formsprache mit wachem Gespür für schicksalhafte Dramen und Konflikte, innere wie äußere. Grenzt sie auch Scherzo und Burleske nicht völlig aus, haben Schwermut und Drangsal Schnürpels Bildwelt doch weit stärker geprägt als spielerische Unbefangenheit. In steigendem Betroffensein antwortet seine Kunst auf das, was sich um ihn und in ihm selbst an existentieller Unruhe und Erfahrung anstaut. Dabei kreist sein Werk fast immer um zentrale Themen. Lange Zeit, als Frucht des Enthusiasmus für den Sport, fesselten ihn die Läufer bei steter Zunahme tragischer Untertöne. Danach zogen ihn besonders Träger in den Bann, gleichnishafte Gestalten mit einem Todkranken auf den Schultern, analog zum Bibelwort: Einer trage des anderen Last. In den letzten Jahren ging jedoch die Dominanz an die Black Dancers über. Im Licht und Schatten der Korrelation zwischen Eros und Thanatos vereinen sich Tod und Frau zum turbulenten Paar, lustvoll und zwanghaft ins Bild gebracht in Aberdutzenden von Varianten voller Drastik, Spuk und Hintersinn. Zeitlos und modern aus unverhohlen subjektiver Sicht.

Dr. Dieter Gleisberg

15. Juli 2016
Bernd Hahn Konstellationen

Konkret + Konstruktiv – Bernd Hahn + Udo Rödel

Das Grafikmuseum Stiftung Schreiner hat sich entschieden, zwei Künstler zur Ausstellung einzuladen, die beide auf unterschiedliche Weise mehr oder weniger dem Konstruktivismus zuzuzählen sind. Sie haben sich nie kennen gelernt, kommen aus Ost und West, besitzen jedoch ein ähnliches ästhetisches Raster. Beide haben sich der Konkretisierung verschrieben, schätzen das Konstruktive und Geometrische, die gerade Linie. Und sind doch so verschieden.

Bernd Hahn (Dresden) streut in seine exzessiv geschwungenen „Kritzeleien“ geometrisch konstruierte Segmente. Die mathematische Perfektion der Quadrate und Rechtecke und die Hektik und Spontaneität der freien Formen werden spannungsreich kontrastiert. Gern lässt er sich von den Möglichkeiten der Monochromie faszinieren. Großformatige, auf wenige Töne beschränkte Farbfelder füllen die Bilder von Rand zu Rand. In seinen Streifenbildern bündelt er parallele Bänder dicht an dicht, erfreut sich an der Rhythmik der Geraden, Streifen und Farbbahnen. Oder er reduziert sein Formrepertoire auf eine einzige Linie, die er mit Pastellkreiden durchs Blattgeviert zieht.

Der Bildhauer Udo Rödel (Münchberg) spürt auf Wanderungen durch die oberfränkische Landschaft achtlos Weggeworfenes, Beiläufiges und längst Vergessenes auf. Er erforscht die Formen der Fundstücke, verändert Oberflächen und verfremdet Objekte. Dabei bevorzugt er Granit, Gneis, Fichtelgebirgsmarmor oder Schiefer. Es sind Säulenreste, Pflaster- oder Grenzsteine, in deren Tiefen er sich meißelt, sägt oder bohrt. Er ergänzt sie durch sein eigenes Formrepertoire aus linearen technoid anmutenden Konstruktionen. Nach oben strebende und richtungsbetonende Senkrechten prägen diese Installationen. Schlanke Stahlgerüste umschließen wie Schutz- und Trutzburg z. B. wuchtige Holzblöcke.