27. April 2024

Hans Scheib. Kaltnadel, Radierungen 1977 – 2023, Skulpturen

Hans Scheibs (* 1949) Generalthema ist das Sehen im genauen Beobachten, das regelrecht ins Mark trifft. Jedoch ergeht er sich nicht im weitschweifigen Fabulieren. Um höchste Klarheit in der Aussage zu erzielen, unterwirft er das grafische Vokabular der Kaltnadel als seinem ureigensten Ausdrucksmittel der äußersten Reduktion: Nervös-flirrende Linien und dicht gesetzte Strichbündel in kräftigem Schwarz erschaffen ein Panoptikum der Sichtweisen auf Menschliches, Allzumenschliches. Hierbei konzentriert er sich motivisch ausschließlich auf die Figur, die bei ihm Existentielles berührt und somit zur ikonischen Chiffre für die satirische Analyse der unmittelbaren Gegenwart wird. In fünf thematisch nach Akt, Landschaft, Köpfen und Tieren sowie Porträts inklusive Selbstbildnissen geordneten Räumen werden erstmals die zwischen 1977 und 2023 entstandenen Werke präsentiert.

Dr. Tobias Ertel

22. Januar 2024

Terra Incognita – Stefan Knechtel / Arbeiten auf Papier & Objekte

Seit 2022 lobt das Grafikmuseum Stiftung Schreiner den von Stefanie Barbara Schreiner initiierten und privat gestifteten ›Wolfgang Schreiner-Stiftungspreis für Druckgrafik‹ aus. Dieser mit eintausend Euro dotierte Förderpreis wird im Zweijahresturnus im Rahmen der als Biennale konzipierten Schau unseres Kooperationspartners Leipziger Grafikbörse e. V. für herausragende Leistungen auf dem Gebiet der zeitgenössischen Druckgrafik verliehen. Anschließend wird dem Preisträger eine umfangreiche Ausstellung in Bad Steben ausgerichtet.
Prämiert wurde der Holzschnitt Unterbrechung (2020) von Stefan Knechtel (*1964) aus Altenburg in Thüringen, der unter Karl-Georg Hirsch (*1938) und Rolf Münzner (*1942) an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig studierte und dessen in vier Jahrzehnten geschaffenes OEuvre beeindruckend vielstimmig, überraschend konsequent und auch wahrhaftig ist. Erstmals zeigen wir hieraus eine konzise Auswahl der in den klassischen Drucktechniken Holzschnitt, Radierung (inklusive Kaltnadel mit Aquatinta) und Lithografie entstandenen Werke, seiner zarten, mithin kraftvollen Zeichnungen im wohltemperierten Kolorit sowie einige skulptural anmutende Objekte (vornehmlich Druckstöcke). Knechtels Motive sind ›Figur‹ und ›Landschaft‹, die archaische Zeichenhaftigkeit atmen und hierbei in der Schwebe bleiben. Seine Linie oszilliert zwischen größtmöglicher Verdichtung und letztlich Auflösung, ist energetisches Strömen und stets überraschendes Ereignis. Obwohl das Schaffen dieses stillen Lyrikers der Grafik bereits als wichtiger Beitrag zur Gegenwartskunst erkannt und gewürdigt wurde, war eine solche Zusammenschau bislang nicht zu sehen.

Dr. Tobias Ertel

27. Oktober 2023

Kiss me over the garden gate – Gerd Kanz / Malerei, Skulptur, Grafik

Florale Motive und Torbögen sind das bestimmende Element im Werk von Gerd Kanz. Die Inspiration dazu bezieht der Künstler aus seinem Garten. Hier findet sich eine besondere, fast drei Meter hohe Pflanze. Ihre nach unten nickenden Blütenstände tänzeln spielerisch im Wind. Die Farbe changiert zwischen Zartrosa, Rotviolett und Kussrot. Sie trägt den Namen: „Kiss me over the garden gate“. Die romantische Aufforderung ist Sinnbild für die Kunst von Gerd Kanz: Die Liebe zur Natur und deren vielfältigen Farb- und Formensprache, die er in seinen floralen Bildern und Grafiken festhält. Und die große Leidenschaft für Tore bzw. Rundbögen, die sich in seinen meterhohen Stelen, Objekten und als Reliefs in seinen Bildern wiederfindet. Pflanzen und Tore – vieldeutige Symbole für das Leben, für Neubeginn.
Einmalig und unverwechselbar ist das Werk des unterfränkischen Künstlers auch durch den Entstehungsprozess. Wenn Gerd Kanz malt, dann tut er dies mit den Werkzeugen eines Bildhauers. Mit Hammer und Stecheisen gräbt er Schrunden und Furchen, Gitter und Netze in das Holz, das ihm als Malgrund dient. So entsteht die für seine Arbeiten typische Bildtektonik, die rau und zerklüftet an erstarrte Lava, ausgetrocknete Flussläufe, rissige Mauern oder bemooste Felsen erinnert. So entstehen seine typisch kantigen Blütenköpfe, Stengel, Strukturen und Tiefe.

Sabine Raithel

20. September 2023

Späte Radierungen & Skulpturen, Plastiken – Per Kirkeby & Dietrich Klinge

Am 9. Mai 2023 ist der fünfte Todestag des Dänen Per Kirkeby (1938‒2018). Ein willkommener Anlass, um an einen der international renommiertesten Künstler des 20. Jahrhunderts zu erinnern. Mit 120 Leihgaben von Knust Kunz Gallery Editions München
und des Museum Jorn Silkeborg/Dänemark stellt die einzigartige Schau in Bad Steben erstmals dessen spätes, zwischen 2006 und 2016 entstandenes Radierwerk vor, das überwiegend als Grafikserien oder umfangreichere Zyklen konzipiert ist. Hierbei dominiert das klassische Motiv ›Landschaft‹ als überzeitliches Gleichnis des Daseins. Stilistisch oszillieren die Werke zwischen eher ahnbarer Figuration und immer offenerer Abstraktion. Dies ergänzen rund 20 Skulpturen und Plastiken von Dietrich Klinge (* 1954), die auf eine hinter der sichtbaren Dingwelt liegende Wirklichkeit verweisen. Ihre besondere Vitalität und visuelle Aussagekraft gewinnen sie aus der im transitorischen Moment des Verwandelns gezeigten Hybridität, die aus der Assemblage von Abguss konkreter Naturformen und künstlerischem Artefakt erwächst. Es ist die im Leibfragment offenbarte Verletztlichkeit aller irdischen Existenz, die einer rastlos im Fließen befindlichen und von steter Brüchigkeit gezeichneten Welt trotzt.

Dr. Tobias Ertel